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Power to Gas - Die grosse Chance der Zukunft
2022 geht in der Zürcher Agglomerationsgemeinde Dietikon eine Power-to-Gas-Anlage in Betrieb. Es handelt sich um das erste Projekt der Schweiz im industriellen Massstab, das umweltfreundliches Methan ins Erdgasnetz einspeist.
Power to Gas: Bericht von Roger Strässle
Blick auf das Power-to-Gas-Gebäude (Bildmitte). © Romeo Basler / Foto Basler Aarau
Was im Industriequartier in der Limmattaler Gemeinde Dietikon seit einem Jahr realisiert wird, zählt zu den Leuchtturmprojekten der Schweiz. Die Power-to-Gas-Anlage, die schon bald startbereit ist, wird die grösste ihrer Art hierzulande sein und CO2-neutrales, erneuerbares Gas produzieren.
Wie funktioniert die Technologie?
Was als Inputstrom für die Power-to-Gas-Anlage in Dietikon benötigt wird, liegt in unmittelbarer Nähe (siehe Grafik unten). Mit dem aus der Kehrichtverwertungsanlage (KVA) gewonnenen Strom spalten die Betreiber mittels Elektrolyse Wasser (H2O) in Sauerstoff (O2) und Wasserstoff (H2). Zusammen mit dem Klärgas aus der Abwasserreinigung (ARA) kommt der Wasserstoff in den neuen Bioreaktor. Dort sind Abermillionen fleissiger Mikroorganismen, sogenannte Archaeen, tätig. Sie produzieren aus dem Wasserstoff und dem im Klärgas enthaltenen CO2 synthetisches Methan (CH4). Es hat chemisch gesehen die gleichen Eigenschaften wie Erdgas. Wer damit kocht, heizt oder Fahrzeuge betreibt, erzeugt durch den Verbrennungsprozess Kohlendioxid. CO2-neutral ist das Gas, weil es im Unterschied zum fossilen Erdgas Teil des natürlichen Stoffkreislaufs ist: Es war nur für kurze Zeit in pflanzlichen Nahrungsmitteln gebunden und gelangte schliesslich durch den menschlichen Verdauungstrakt in die Abwasserreinigung und ins Klärgas.
Das Schema zeigt, wie die Power-to-Gas-Technologie funktioniert. © Limeco
Drei Schritte für die Gasproduktion
Es braucht drei wesentliche Schritte, damit der Strom aus der KVA über die Power-to-Methan-Anlage umweltfreundliches Gas produziert:
- Elektrolyse zur Erzeugung von Wasserstoff mit dem erneuerbaren Anteil des Stroms aus der KVA
- Biologische Methanisierung zur Erzeugung von synthetischem Methan aus dem CO2 im Klärgas und Wasserstoff
- Gasreinigung zur Sicherstellung der geforderten Einspeisequalität
In Dietikon sind zwei Elektrolyseeinheiten mit je 1,25 Megawatt (MW) Leistung im Einsatz, die den Wasserstoff produzieren. Damit betreibe man in Zukunft die grösste Power-to-Gas-Anlage der Schweiz, heisst es bei Limeco. Das Limmattaler Regiowerk will damit 18 Gigawattstunden erneuerbares Gas pro Jahr produzieren. «Durch den Ersatz von fossilem Erdgas können wir bis zu 5000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen», sagt Thomas Di Lorenzo von Limeco. Damit substituiere man den jährlichen CO2-Ausstoss von rund 2000 Haushalten.
Finanzierung über Zertifikate
Speziell an diesem Projekt ist auch das Finanzierungsmodell. Gemäss Di Lorenzo wird die 14 Millionen Franken teure Anlage von acht Schweizer Energieversorgern aus Aarau, der Linthregion, Bern, St.Gallen, Dietikon, Schlieren, Lenzburg und Interlaken finanziert. Über Zertifikate würden die Energiedienstleister den ökologischen Nutzen des umweltfreundlich produzierten Gases an ihre Endkunden verkaufen. Di Lorenzo ergänzt: Weil der Strom direkt aus der KVA bezogen werde, würden für sie als Betreiber Netznutzungsgebühren entfallen. Das halbiere die Kosten für die Umwandlung des Stroms in Wasserstoff (Elektrolyse). Für einen industriellen Betrieb einer solchen Anlage sei das ein wichtiger Faktor, sagte Di Lorenzo am ersten Power-to-Gas-Kongress im September 2021 in der Umwelt-Arena in Spreitenbach.
Netzstabilisierende Regelenergie bereitstellen
Limeco will mit dem Projekt nachweisen, dass es technologisch und wirtschaftlich möglich ist, eine Power-to-Gas-Anlage zu betreiben. Eine zentrale Technologie, mit welcher sich die Stromeinspeisung durch eine KVA flexibilisieren lässt: KVA-Betreiber können so den Strom direkt ins Netz einspeisen, wenn er gebraucht wird. Produzieren hingegen andere Kraftwerke genug oder gar zu viel Strom – beispielsweise Solaranlagen im Sommer – soll aus dem KVA-Strom über die Power-to-Gas-Technologie grünes und speicherfähiges Gas produziert werden. Limeco kann mit einem flexiblen Betrieb der Power-to-Gas-Anlage zusätzlich netzstabilisierende Regelenergie bereitstellen – eine systemdienliche Leistung, die finanziell entschädigt wird.
Potenzial für Kläranlagen und KVA
Bewährt sich das Power-to-Gas-Konzept in Dietikon, birgt das grosses Potenzial: Allein mit Power-to-Gas-Anlagen bei den 100 grössten Kläranlagen der Schweiz könnte der Energiebedarf von über 250’000 Personen, also mehreren mittelgrossen Schweizer Städten, gedeckt werden. Auch die KVA könnten mit solchen Anlagen bestückt werden und so einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich der saisonal schwankenden Stromproduktion leisten: Laut Limeco können Energieversorgungsunternehmen mit Power-to-Gas-Anlagen in den Sommermonaten Strom in Form von Gas speichern. Diese Energie würde im nachfragestarken Winter mittels Wärmekraftkopplung als Strom ins Netz und als Wärme ins Fernwärmenetz eingespeist.
Für weitere Informationen zur Power-to-Gas-Anlage in Dietikon: www.powertogas.ch
Überschüssigen Strom in Gas umwandeln
Je mehr die Photovoltaik ausgebaut wird, desto höher ist die Stromproduktion im Sommer. In dieser Zeit benötigen Wirtschaft und Gesellschaft aber nur einen Teil dieser Energie. Eine Empa-Analyse zum Potenzial der Power-to-Gas-Technologie – also der Umwandlung von erneuerbarem Strom in chemische Energieträger wie Wasserstoff oder Methan – geht von rund zehn Terawattstunden (TWh) überschüssigem erneuerbarem Strom in den nächsten Jahrzehnten aus. Vorausgesetzt, rund die Hälfte der geeigneten Dachflächen der Schweiz wird mit Photovoltaik bestückt. Aus diesem Überschussstrom könnte man via Power-to-Gas rund fünf TWh synthetisches Gas herstellen.
Auf diese Weise würde der überschüssige Ökostrom zur Stabilität und zur Effizienz des Gesamtsystems beitragen. Die Umwandlung von erneuerbarer Elektrizität in saisonal speicherbare Energieträger sei ein wichtiger Pfeiler eines dekarbonisierten Energiesystems, sagt der Empa-Forscher Martin Rüdisüli.
Quellen/PDF
Quelle: Roger Strässle. Umweltperspektiven, Dezember 2021, Foto: Basler Aarau