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Erstes energieautarkes Mehrfamilienhaus der Welt bezogen
Gemeinsam mit Ausstellungspartnern hat die Umwelt Arena Spreitenbach in Brütten/ZH das erste solarbetriebene Mehrfamilienhaus der Welt gebaut. Dieses kommt ohne externe Energieanschlüsse aus. Bundesrätin Doris Leuthard hat dieses Leuchtturmprojekt am 6. Juni 2016 eingeweiht.
Das Gebäude verfügt über neun Wohnpartien. Die ersten Mieter zogen Mitte Juni 2016 ein. Sie wurden in einem Casting ausgewählt. Energiebewusste Personen und Mieter, die weniger auf den Energieverbrauch bedacht sind, werden unter Beweis stellen, wie der Umgang mit neuesten Technologien und das eigene Verhalten den individuellen Energiebedarf beeinflussen.
Um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, setzten das Team um den Architekten René Schmid auf die vier „S“: Sammeln, Speichern, Sparen, Sorge tragen. Die technischen Details hinter dem Konzept sind kein Geheimnis. Photovoltaikzellen auf dem Dach und an der Fassade erzeugen Strom, der mittels Batterien und Wasserstoff gespeichert werden kann. Eine gut gedämmte Gebäudehülle trägt zusammen mit der intelligenten Gebäudetechnik zur Verbrauchsminderung und Effizienzsteigerung bei und das ohne Komforteinbusse.
Stromproduzierendes Dach
Die eingesetzten monokristallinen Module sind eine bewährte Technologie mit hohem Wirkungsgrad. Dieser war beim Dach auch ausschlaggebend für den Technologieentscheid. Beim Projekt Brütten reicht eine Stunde Sonne im Sommer, um den Energiebedarf der Bewohner des ersten energieautarken Mehrfamilienhauses einen Tag lang sicherzustellen. Mit der überschüssigen Energie, die während der weiteren Sonnenstunden produziert wird (im Sommer 12 bis 14 Stunden pro Tag), können die Kurz- und Langzeitspeicher geladen werden.
Technische Daten
Leistung: 160 W/m2
Ertrag Dach: 65‘000–75‘000 kWh
Ertrag Fassade: 25‘000–30‘000 kWh
Ertrag Gesamt: 90‘000–105‘000 kWh
Modulfläche Dach: 512 m2
Modulfläche Fassade: 485 m2
Modulfläche Gesamt: 997 m2
Leistung Dach: 79.54 kWpeak
Leistung Fassade: 46.96 kWpeak
Leistung Gesamt: 126.5 kWpeak
Strom produzierende Fassade
Die Dünnschichtsolarmodule sind kostengünstig in der Herstellung und sehr flexibel einsetzbar. Sie besitzen ein gutes Diffus- und Schwachlichtverhalten, was bei der Fassade entscheidend ist, da diese meist nur für kurze Zeit einer direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind. Bei der Fassade waren auch architektonische Faktoren entscheidend. Zum Beispiel soll sie nicht spiegeln. Die Module werden daher vor der Montage speziell behandelt. Die Fassade mit PV-Modulen ist mit einer Glasfassade gleichzusetzen, was eine sehr lange Lebensdauer von 40 bis 50 Jahren zur Folge hat.
Technische Daten der Fassade
Typ Zellen-Dach: Dünnschicht-Solarzellen
Leistung: 100–110 W/m2
Ertrag: 23‘000–28‘000 kWh
Fläche: ca. 470m2
Leistung gesamt: 46,95 kWpeak
Umsetzung der Kurzzeitspeicherung
Im energieautarken MFH Brütten wird eine Batterie eingesetzt, um den von der PV-Anlage produzierten Strom über einen Zeitraum von 2-3 Tagen zu speichern. Batteriewechselrichter stellen innerhalb des Gebäudes das Stromnetz sicher und übernehmen die Primärregelung des Netzes.
Das Batteriesystem ist das zentrale Element der Energieversorgung im Gebäude. Gewisse Komponenten sind aus diesem Grund redundant ausgeführt, um eine hohe Verfügbarkeit zu gewährleisten. Bei der Batterie kommt ein Lithium-Eisen-Phosphat-System zum Einsatz.
Die Vorteile:
- Hohe Zyklen-Festigkeit (~5000 – 6000 Zyklen)
- Hohe kalendarische Lebensdauer (10 – 15 Jahre)
- Guter Systemwirkungsgrad (> 85%)
- Geringe Selbstentladung (< 3%)
- Hohe Systemverfügbarkeit (> 98%)
- Keine Belastung durch gefährliche Gase
Kurzzeitspeicherung von Strom
Bei einem Energieüberschuss der PV-Anlage wird die Energie in der Batterie zwischengespeichert. Wenn der Strom der PV-Anlage nicht mehr ausreicht um den aktuellen Bedarf zu decken, kann die Energie rasch aus diesem Kurzzeitspeicher abgerufen werden. Die Batterie ist so ausgelegt, dass sie kurzzeitige Lücken überbrücken kann (einzelne Stunden bis ca. drei Tage). Da eine Langzeitspeicherung von Wochen bis Monaten über eine Batterie nicht wirtschaftlich realisierbar ist, wird beim Projekt Brütten zusätzlich auf weitere Technologien zurückgegriffen (z.B. Wasserstoffspeicherung). Diese Langzeitspeichersysteme sind eng mit dem Batteriespeichersystem verbunden und stellen die Versorgung bei längeren Unterdeckungen sicher.
Technische Daten
System: E-Speicherwerk
Batterietyp: Lithium-Eisen-Phosphat
Kapazität: 192 kWh brutto, 153 kWh netto
Leistung Wechselrichter: 2× 55 kW (redundant)
Systemwirkungsgrad: > 85%
Batteriewirkungsgrad: > 97%
Selbstentladung: < 3%
Langzeitspeicherung
Über das ganze Jahr gerechnet, bleibt ein Stromdefizit von etwa 25 Tagen, das vor allem im Dezember und Januar mit dem Langzeitspeicher überbrückt werden muss. Im energieautarken Mehrfamilienhaus wird deshalb mit dem überschüssigen Strom der Photovoltaik-Anlage zusätzlich Wasserstoff produziert und gespeichert. Über eine Brennstoffzelle wird damit zum gewünschten Zeitpunkt Strom produziert und somit die Energielücke geschlossen. Der für die Wintermonate kalkulierte Strombedarf, welcher nicht durch die Solaranlage direkt und die Kurzzeitspeicherung gedeckt werden kann, wird im Sommer mittels PEM-Wasserelektrolyse genutzt und gespeichert. Der entstehende Wasserstoff wird direkt aus dem Elektrolyseur mit 30 bar ohne zusätzliche Verdichtung an die unterirdischen Speichertanks geliefert. Die dabei entstehende Wärme wird als Quelltemperatur für die Wärmepumpe eingesetzt, welche damit das Brauchwarmwasser erzeugt und die thermischen Langzeitspeicher bedient.
Die zwei Speichertanks mit total 120 m³ Volumen und die Rohrleitungen sind neben dem Gebäude erdverlegt und sind mit entsprechenden Sicherheitseinrichtungen ausgerüstet. Die Verrohrungen und der Tankbau sowie die Installationen werden durch eine spezialisierte Fachfirma ausgeführt. Für die Produktion des notwendigen Stromes im Winter wird eine PEM-Brennstoffzelle eingesetzt, welche den Wasserstoff über eine Druckreduzierstation von den Speichertanks bezieht und zu Strom und Wasser umwandelt. Der dabei entstehende Gleichstrom wird direkt auf den Batteriespeicher geliefert und die nutzbare Reaktionswärme wird für die Brauchwarmwasser-Erwärmung und das Heizen eingesetzt.
Technische Daten Elektrolyseur
Elektrolyseur Leistung elektrisch: 14.5 kW (Verbrauch)
Ertrag: 2 Nm³/h Wasserstoff (30 bar)
Leistung thermisch: 8 kW/35 °C
Technische Daten Tankanlage und Verrohrung
Typ: Spezial-Wasserstofftank
Inhalt: 120 m³
Betriebsdruck: max. 30 bar
Fülldruck: 27.5 bar
Tank 1* Länge 9.2 m, Durchmesser 2.7 m, Gewicht 17 t, Geometrischer Inhalt 48‘000 I
Tank 2* Länge 13.5 m, Durchmesser 2.7 m, Gewicht 24 t, Geometrischer Inhalt 72‘000 I
* Beide Tanks sind aus einem speziellen, wasserstoffbeständigen Stahl gefertigt und haben eine mittlere Wanddicke von 2.5 cm. Aussen haben die Tanks eine Kunststoffbeschichtung aus Epoxydharz. Zusätzlich zu diesem passiven Rostschutz wurde ein aktiver Rostschutz mittels eines elektrochemischen Verfahrens (kathodischer Korrosionsschutz) installiert.
Technische Daten Brennstoffzelle
Leistung elektrisch: 6.2 kW/5.6 kW (Dauerleistung)
Leistung thermisch: 5.5 kW (Dauerleistung)/60 °C
Eintrittsdruck Wasserstoff: 2 bar
Saubere Mobilität
Den Bewohnern stehen zwei umweltfreundliche Fahrzeuge zur Verfügung. Ein Elektro- und ein Bio-/Erdgasauto. Das Elektroauto kann direkt vor Ort geladen werden.
Keinerlei Komforteinbussen und ein behagliches Wohnklima.
Mehr Informationen auch unter: umweltarena.ch
Weiterführende Artikel
http://www.gesundes-haus.ch/minergie/minergie.html
http://www.gesundes-haus.ch/ausstellung/umwelt-arena-in-spreitenbach.987.html
Quellen/PDF
Quelle und Bilder: umweltarena.ch